Programm
Texte
Forum
Produktionen
Kontakt

 

 

ENTWURF FÜR EIN KUNSTPROJEKT IM U-BAHNHOF ALEXANDERPLATZ (U2)

November 2002

Konzeption: JP Possmann und Alexander Schellow
Realisation: Alexander Schellow

IDEE

Mimetische Verfahren halten immer die Zeit an, sie frieren das Leben ein. Um zu bewahren, müssen sie töten. Sie müssen dem Moment, dem Gefühl, dem menschlichen Antlitz die Lebendigkeit rauben, die sie immer auch vergänglich macht. Die Kategorie der Zeit ist daher eine entscheidende für die Bilderwelt der Kunst und mehr noch der Werbung - die Abwesenheit von Zeit im Werbebild. Das Versprechen der Werbebilder ist immer auch das Verlangen des Dorian Gray: die Schönheit ewig festzuhalten und das Bild an unse-rer statt altern zu lassen. Die Werbung verspricht, durch den Konsum der beworbenen Ware werde die Schönheit des Abgebildeten in seiner Vollkommenheit und Zeitlosigkeit auf uns übergehen. Der Name des Produkts ist die Zauberformel, der Kaufakt das magische Ritual, durch das die zeitlose Glückseligkeit der Werbebilderwelt auf das Leben, auf uns, den Konsumenten, übergehen soll. Zumindest so lange bis die Tube alle ist, die Dose leer, der Duft verweht. Der U-Bahnsteig des Alexanderplatz' ist ein Ort des Transits, ein Ort des "Weiter" und nicht des "Hier", eigentlich ein Un-Raum. Für die meisten, die wir uns hier aufhalten, ist er auch kein Raum des bewußten "Jetzt", kein Raum an dem wir sind, des Seins wegen, sondern ein Ort, der immer auf später verweist, auf die Verabredung, den Arbeitsbeginn, den Feierabend, an dem wir dann tatsächlich sein wer-den. Der U-Bahnhof verweist damit auf die Zeitlichkeit des Lebens, auf das Historische jedes Dings. Wir wollen in unserem Kunstprojekt für den U-Bahnsteig der U2 die besondere Zeitlichkeit des Ortes mit der suggerierten Zeitlosigkeit des Werbebildes zusammenbringen. Werbebilder, obwohl sie vorgeben, in sich geschlossene, perfekte kleine Welten zu sein, sind so-wohl historisch wie konstruiert. Jede werbetechnische Innovation baut auf dem Stoff moderner und archaischer Sehnsüchte und deren Vermarktung auf, und jedes Bild setzt sich zusammen aus einer Vielzahl ästhetischer Zeichen. Sowohl die Historizität wie die Kon-struiertheit der Werbebilder werden in unserer Installation deutlich gemacht.

UMSETZUNG

Auf die Werbeflächen hinter den Gleisen werden in verschieden langen Intervallen historische Werbebilder verschiede-ner Epochen projiziert. Dabei isolieren wir die Elemente (Farbe, Figuren, Formen, Linien, Textzeilen und Worte) der Bilder und verwen-den nur jeweils eines oder mehrere dieser Elemente. Wir sezieren also gewissermaßen die Bildkompositionen, schaffen aus ihren Einzelteilen, ihren Elementen, neue Bilder, die wir dann wiederum auf den Werbeflächen präsentieren. So werden die bekannten Kampagnen verfremdet, ohne dass in die Bilder selbst eingegriffen oder ihnen etwas hinzugefügt wurde. Der/die BetrachterIn wird auf-gefordert, sowohl die Historizität der Werbebilder und ihrer Mittel, wie auch die Funktionsweisen der Bildgestaltung zu beobachten. Sie/er sieht hinter die Illusion der in sich geschlossenen, geschichtslosen und daher reinen Welt der Werbebilder. Während jeder/jede U-Bahn-FahrerIn auf seinem/ihrem Weg an einer Vielzahl von Werbetafeln vorbeifährt, wie der sprichwörtliche Zug der Zeit an den his-torischen Kampagnen, so komprimieren wir umgekehrt mit diesem Projekt die Werbebilder auf einen Raum und lassen diese an dem Auge der Reisenden vorbeiziehen. Das Verhältnis von Raum und Zeit wird umgekehrt: Der Aufenthalt auf dem Bahngleis wird zur virtu-ellen und historischen Reise durch die Stadt, deren optische Oberfläche längst von der Bilderwelt der Werbung gebildet wird.

 

 

 

 

Home